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Fotos mit Daten zu radioaktiver Strahlung taggen

Pripjat Riesenrad

Ich fotografiere schon ein ganze Weile. Mir ist dabei mehrfach aufgefallen, dass ich einen gewissen Charme in verlassenen und heruntergekommenen Orten sehe. Einer der bekanntesten „abandoned places“ dürfte die Stadt Pripjat in ukrainischen Tschernobyl sein. Im Zuge des Reaktorunglücks in Block 4 des Kernkraftwerkes wurde die Region 1986 großflächig, teils stark mit ionisierender Strahlung abgebendem Material verseucht.

Tatsächlich regte sich schon länger der Wunsch in mir, Tschernobyl zu besuchen, zumal es schon länger die Möglichkeit gibt, relativ unkompliziert – in Begleitung eines Tour Guides – Zugang zur Zone zu erhalten. Seit Kurzem ist sogar ein kurzer Besuch des Kontrollraumes von Block 4 möglich. Die Gelegenheit war bislang aber leider nicht sehr günstig und mir fehlte es an weiteren hinreichend Verrückten, die mich begleiten wollen würden.

Verrückte? Da kenne ich doch welche!

Und die musste ich weder fragen noch suchen. Sie fragten in einem gemeinsamen Gruppenchat – getriggert durch das Angebot eines Angebotsportals. Dies stieß auf reges Interesse und schon waren wir 5 Verrückte. Wir fingen sogleich an, wilde Pläne zu schmieden. Schnell war das Pauschalangebot diskreditiert – das bekäme man selbstorganisiert viel besser und angenehmer hin.

Aber es strahlt doch noch immer radioaktiv…

Ja, tut es. Ist es gefährtlich? Jein. Um sich selbst wirklich zu gefährden, müsste man schon grob fahrlässig oder vorsätzlich handeln. Handelt man dagegen verantwortungsvoll, könnte es passieren, dass man auf dem Flug nach Kiev mehr radioaktive Strahlung absorbiert als vor Ort. Raucher brauchen sich erst recht keine Sorgen zu machen. Die bekommen durch die Zigaretten ohnehin ein Vielfaches der Strahlenbelastung ab.

Da der Mensch aber kein Sinnesorgan für ionisierende Strahlung hat, braucht man ein Messgerät, um die akute sowie die akkumulierte Gesamtstrahlung messen zu können. So ein Gerät hat ein zugelassener Guide immer am Mann und nennt sich „Geiger-Müller Zählrohr“ oder auch kurz „Geigerzähler“.

Allerdings wird dieses Gerät in der Gruppe herumgereicht und gerne auch zum Aufspüren von Hotspots genutzt. Dessen gespeicherte Werte (so es denn überhaupt aufzeichnet) sind also nicht repräsentativ für mich. Deswegen wollte ich ein eigenes Gerät am Körper tragen. Der Fusselkater empfahl mir ein preiswertes, welches Beta- und Gammastrahlung misst und dreierlei Funktion bietet.

GQ GMC-320 Plus

Das Messgerät

Das GQ GMC 320-Plus Messgerät habe ich aus folgenden Gründen für sinnvoll erachtet:

Innenansicht GQ GMC-320 Plus
  • Es zeigt die aktuelle Strahlungsbelastung an (wahlweise in µS/h, CP/M oder mR/h) und kann akustisch bei Überschreiten eines Schwellwertes warnen.
  • Die akkumulierte absorbierte Strahlungsdosis wird gespeichert und es kann auch hier ab einem frei wählbaren Wert akustisch warnen.
  • Es speichert in frei wählbarem Intervall die akute Strahlenbelastung inkl. Zeitstempel ab. Mit 1MB Speicher tut er das auch tagelang – selbst bei sekündlicher Speicherung.
  • Das USB-Protokoll ist öffentlich. Und es gibt mit GeigerLog freie Software zum Auslesen und Visualisieren.

GeigerLog einrichten und nutzen

Für mein Vorhaben, die Strahlung in die Fotos zu taggen, reicht es natürlich nicht, die Daten nur auf dem internen Flash-Speicher liegen zu haben. Ich möchte sie auch auslesen, visualisieren und exportieren können.

Was mich anfangs etwas verwirrt hat, ist, dass die Module für unterstützte Datenquellen in der ‚geigerlog.cfg‘ aktiviert werden müssen, erst dann kann man sich mit dem GUI-Programm verbinden. In meinem Fall musste ich folgende Änderungen machen, danach war die Verbindung mit den Standardwerten sofort möglich.

GMCActivation = yes
GSActivation = no
usbport   = /dev/ttyUSB0Code-Sprache: Bash (bash)

Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass GeigerLog auch eine Vielzahl anderer Geräte und Quellen nutzen kann. Sogar ein Audioeingang mit einem Mikrofon, dass dem Tickergeräusch eines analogen Geigerzählers lauscht, ist als Quelle konfigurierbar.

GeigerLog main window

Sind die Daten im Programm importiert, können sie von hier aus auch wieder als .csv Datei exportiert werden. Auf dieses Dateiformat beziehe ich mich im weiteren Verlauf des Artikels. Das GQ Windows-Programm kann zwar auch csv exportieren, produziert aber merkwürdig inkonsistente Dateien und ist daher nicht kompatibel.

Fotos mit Strahlungswerten taggen

Hier wurde ich im Internet aber leider nicht fündig. So etwas hat wohl noch niemand geschrieben – schon gar nicht für dieses Gerät / dieses Exportformat. Als ich aber mit Fusselkater auf der „Hack im Pott“ dieses Jahr im Keller über mein Vorhaben fachsimpelte, meinte er lapidar, ich soll es doch einfach selbst programmieren. Okay. Let’s go! Python 3? Warum nicht?!

Noch vor Ende des HIP-Wochenendes gab es einen ersten zerbrechlichen Prototypen, den wir auf die Schnelle zusammengekloppt haben. Aber in diesem Zustand wollte ich es natürlich nicht veröffentlichen. Es fehlte Dokumenation, es war ineffizient as fuck. Es hat pr0 Foto das ganze csv-parsen immer wieder neu gemacht, außerdem konnte es nur direkte Zeittreffer im Log matchen und vermisste diverse Komfortfunktionen.

Im Endeffekt habe ich es dann ein 2. mal komplett neu programmiert – halbwegs in objektorientierter Programmierung. Habt ein wenig Nachsehen, neben kleineren Arduino-Elektronik-Basteleien ist dies mein erstes „größeres“ Programmierprojekt. Und das erste mal, dass ich überhaupt was mit Python gemacht habe.

Hallo Welt, hier ist rad_tag.py

Eigentlich wollte ich das Tool nach dem Urlaub hier vorstellen, nachdem es sich mit Realdaten „aus dem Feld“ unter Beweis gestellt hat. Daraus wird wegen der andauernden Einschränkungen durch die Covid-19 Pandiemie aber möglicherweise dieses Jahr nichts mehr. Deswegen schreib ich diesen Artikel jetzt, vielleicht wird das Programm für jemand anderen zwischenzeitlich nützlich.

Öffentlich verfügbar ist der radiation-tagger seit dem 3. Commit oder so und steht unter MIT-Lizenz.

Derzeit aktuell ist die Version 0.3, dies ist der objektorientierte Rewrite. Seine Funktion ist mit Testdaten ausgiebig getestet worden und sollte tun, was es tun soll. Das Ding steht aber weiterhin unter Entwicklung, so fehlt auf jeden Fall noch ein vernünftiges Error handling und vielleicht bau ich auch noch ne setup.py zusammen für die leichtere Installation. Im master branch solltet Ihr aber zumeist eine stabile Version finden.

Ich habe auch daran gedacht, ein neues xmp. Datenfeld zu erschaffen, allerdings müsste jede Software dieses kennen um es anzeigen oder verarbeiten zu können. So schreibe ich den Kommentar in die Felder Exif.Photo.UserComment, Exif.Image.ImageDescription, Iptc.Application2.Caption, und Xmp.dc.description. So sollte nahezu jede Anwendung ihr präferiertes Kommtarfeld finden.

Lade ich die Bilder mit meiner Lightroom Extension hoch, wird der Strahlenkommentar als Bildunterschrift gesetzt und ist so gut sichtbar auf der Fotoseite.

Abhängigkeiten, Voraussetzungen sowie Kurzanleitung mit Beispielen finden sich in der Readme, auf die ich hiermit verweise, damit ich die Doku nicht fortlaufend an 2 Orten pflegen muss.

Nicht zuletzt freue ich mich darauf, vielleicht auch mal einen merge request zu erhalten, nachdem neulich mein erster bei einem anderen Projekt akzeptiert wurde.

Siehe hierzu meinen CONTRIBUTING Guide.

Autor

Seit Kindheitstagen ist der Computer sein Begleiter. Was mit Linux anfing, wurde 2005 ein/e Beruf/ung, die weit über den Arbeitsplatz hinausgeht. Durch stetige Weiterentwicklung fasste er auch im *BSD Segment Fuß und bietet mittlerweile professionelle Lösungen im Bereich Hosting, Networking und Infrastruktur an. Als Ausgleich beschäftigt er sich neben Computerspielen mit der Fotografie.

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